AGG: Unzulässige Fragen im Bewerbungsgespräch vermeiden
Diskriminierung in Vorstellungsgesprächen vorbeugen
„Wo kommen Sie eigentlich her?“ ist nicht unbedingt eine gute Einstiegsfrage für ein bisschen Small Talk. Schon gar nicht, wenn es sich dabei um ein Bewerbungsgespräch handelt. Um die optimale Besetzung für eine Stelle zu finden, werden in Vorstellungsgesprächen viele Fragen gestellt – leider nicht selten auch solche, die dort eigentlich nichts zu suchen haben.
Gegen Diskriminierung im Arbeitsleben gibt es ein Gesetz: das AGG. Bei Verletzung der gesetzlichen Bestimmungen können Bewerber*innen gegen die benachteiligende Stelle Klage einreichen. Nicht nur deshalb sollten Bewerbungsgespräche auch vonseiten der Arbeitgeber*innen gut vorbereitet sein.
Wie Sie Vorstellungsgespräche diskriminierungssensibel gestalten und welche Fragen dabei zulässig sind und welche nicht, erfahren Sie in diesem Blogbeitrag.
Was ist das AGG?
Diskriminierung im Bewerbungsgespräch
Fragerecht
Das Recht zur Lüge
Unzulässige Fragen
Konsequenzen
Fazit
Was ist das AGG?
Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG), umgangssprachlich auch Antidiskriminierungsgesetz genannt, schützt Menschen in Deutschland seit 2006 vor Benachteiligungen in zwei Lebensbereichen: bei Alltagsgeschäften (z. B. bei der Wohnungssuche oder beim Einkaufen) und im Arbeitsleben (z. B. bei Bewerbungen und Beförderungen).
Ziel des AGG ist es, Benachteiligungen aufgrund von Merkmalen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern bzw. zu beseitigen. Bei Verstößen gegen das Benachteiligungsverbot drohen juristische Konsequenzen von Abmahnungen bis hin zur Zahlung von Schadensersatz.
Diskriminierung im Bewerbungsgespräch
Das AGG schützt nicht nur angestellte Arbeitnehmer*innen vor unzulässiger Benachteiligung, sondern auch Bewerber*innen für ein Beschäftigungsverhältnis. Das bedeutet: Arbeitgeber*innen müssen dafür sorgen, während des Einstellungsprozesses keine Ungleichbehandlungen stattfinden und unzulässige Fragen im Bewerbungsgespräch vermieden werden, die sich direkt oder indirekt auf ein AGG-Merkmal beziehen.
Die Tatsache, dass Bewerber*innen aber immer wieder von offen oder versteckt diskriminierenden Fragen in Vorstellungsgesprächen berichten, zeigt jedoch unter anderem, dass diejenigen, die Vorstellungsgespräche führen, oft nicht ausreichend für Themen wie Antidiskriminierung und Gleichstellung sensibilisiert werden. Zwar steckt nicht hinter jeder plumpen Frage eine diskriminierende Absicht. Aber auch Unwissenheit kann bekanntlich großen Schaden anrichten.
Schließlich geht es bei Vorstellungsgesprächen nicht nur um die Festlegung von Kompetenzen und Gehältern, sondern auch um den Aufbau einer gegenseitigen Vertrauensbasis. Personen, die regelmäßig Vorstellungsgespräche führen, sollten daher von ihrem/ihrer Arbeitgeber*in die Möglichkeit erhalten, an speziellen Schulungen teilzunehmen, die ein diskriminierungssensibles Verhalten fördern.
Generell geht es für Recruiter*innen darum abzuwägen, welche Fragen für die Besetzung einer Stelle wirklich relevant sind. Aus arbeitsrechtlicher Sicht gibt es dabei zwei Prämissen, die der Gesprächsführung eines Bewerbungsgesprächs zugrunde liegen: das Fragerecht des/der Arbeitgeber*in sowie das Recht zur Lüge.
Fragerecht
Arbeitgeber*innen haben ein berechtigtes Interesse daran, vor einer potenziellen Einstellung mehr über die Menschen zu erfahren, die bei ihnen arbeiten möchten. Damit die Basis für einen fairen Auswahlprozess gegeben ist, verfügen Arbeitgeber*innen über ein Fragerecht – und Bewerber*innen verpflichten sich zur wahrheitsgemäßen Beantwortung. Das Fragerecht gilt allerdings nicht uneingeschränkt: Zulässig sind nur solche Fragen, die für die Durchführung des Arbeitsverhältnisses und die Erbringung der vertraglich geregelten Leistung von Bedeutung sind. Missachten Arbeitgeber*innen etwa das Benachteiligungsverbot des AGG und stellen eine unzulässige Frage im Vorstellungsgespräch, kommt das sogenannte Recht zur Lüge ins Spiel.
Das Recht zur Lüge
Ein Gesetz, das Lügen ermutigt? Klingt erst mal schräg, macht aber Sinn: Während eine falsche Antwort auf eine zulässige Frage im Nachhinein einen legitimen Kündigungsgrund des/der Mitarbeiter*in darstellen kann, wendet sich das Blatt, sobald es sich um eine unzulässige Frage handelt. Alle Fragen nach oder im Zusammenhang mit den in § 1 AGG geschützten Merkmalen müssen von Bewerber*innen nicht wahrheitsgemäß beantwortet werden. Ist zu befürchten, dass die Antwort zu einer Diskriminierung führt, dürfen Bewerber*innen bewusst lügen oder die Frage unbeantwortet lassen. Wahrheitswidrige Antworten haben in diesem Fall keine negativen Konsequenzen für Bewerber*innen.
Unzulässige Fragen im Bewerbungsgespräch
Welche Fragen dürfen Personalverantwortliche nun also im Bewerbungsgespräch stellen und welche nicht? Hier gibt es die häufigsten Fragen im Überblick:
Ethnische Herkunft
Fragen mit direktem oder indirektem Bezug zur ethnischen Herkunft von Bewerber*innen sind im Rahmen von Vorstellungsgesprächen nach AGG grundsätzlich unzulässig. Darunter fallen sowohl Fragen nach dem Migrationshintergrund als auch Fragen nach der Muttersprache. Zulässig sind jedoch Erkundungen nach Anforderungen, die eine eindeutige Voraussetzung für die Ausübung der Tätigkeit darstellen, z. B. nach der Arbeitserlaubnis oder nach Sprachkenntnissen.
- Sie haben einen interessanten Namen. Woher kommen Sie ursprünglich?
- Sind Sie in Deutschland geboren?
- Woher stammen Ihre Eltern?
- Ist Deutsch Ihre Muttersprache?
- Welche Sprachen sprechen Sie?
- Haben Sie eine Arbeitserlaubnis?
Schwangerschaft und familiäre Situation
Um die Einsatzbereitschaft und Flexibilität von Bewerber*innen abzuklären, wird in Vorstellungsgesprächen hin und wieder nach der familiären Situation gefragt. Fragen nach einer bestehenden Schwangerschaft, Kindern oder Kinderwunsch haben im Vorstellungsgespräch jedoch absolut nichts zu suchen. Nach AGG handelt es sich hierbei um eine potenziell unzulässige Benachteiligung aufgrund des Geschlechts – denn vor allem Frauen werden mit Fragen zur Familienplanung konfrontiert. Auch Fragen nach Lebenspartner*innen sind nicht zulässig, sie können ein Indiz für eine Diskriminierung aufgrund der sexuellen Identität darstellen.
Wollen sich Arbeitgeber*innen nach der Belastbarkeit und Einsatzbereitschaft von Bewerber*innen erkundigen, sollten Themen wie Überstunden oder Dienstreisen auf direktem Wege angesprochen werden.
- Sind Sie schwanger?
- Haben Sie Kinder?
- Wie sieht’s bei Ihnen mit der Familienplanung aus?
- Mit wem leben Sie zusammen?
- Was macht Ihr Partner/Ihre Partnerin beruflich?
- Sind Sie zeitlich flexibel?
- Können Sie Abendtermine wahrnehmen?
- Sind Sie bereit Überstunden zu machen?
- Können Sie sich vorstellen, Dienstreisen zu machen?
Behinderung und chronische Krankheiten
Im Allgemeinen müssen Bewerber*innen keine Auskunft zu ihrem Gesundheitszustand geben. Fragen nach einer Behinderung oder Erkrankung sind nur dann bedingt zulässig, wenn sie eine wesentliche Voraussetzung für die Ausübung einer Tätigkeit sind. Ausnahmen bestehen also, wenn Bewerber*innen die Tätigkeit aufgrund ihrer Behinderung oder Erkrankung nicht ausführen können oder wenn dadurch ein Risiko für Dritte besteht. Etwa dann, wenn Bewerber*innen unter einer ansteckenden Krankheit leiden, die andere Personen im Arbeitsumfeld gefährden könnte.
Auch die Frage nach pflegebedürftigen Angehörigen gehört nicht ins Vorstellungsgespräch. Stattdessen sollten Arbeitgeber*innen die erforderlichen Tätigkeiten genau beschreiben und sich vergewissern, ob diese von den Bewerber*innen ausgeführt werden können.
- Wie steht es um Ihre Gesundheit?
- Leiden Sie an körperlichen Einschränkungen?
- Haben Sie Probleme mit Alkohol- oder Drogen?
- Haben Sie pflegebedürftige Angehörige?
Religionszugehörigkeit
Welchen Glauben oder Nichtglauben Bewerber*innen haben, ist für die auszuübende Tätigkeit in der Regel unerheblich und daher nach AGG unzulässig. Auch hier gibt es einige Ausnahmen: Handelt es sich beim Arbeitgeber um eine konfessionelle Institution (z. B. eine Kirche), besteht ein berechtigtes Interesse zu erfahren, ob sich die Bewerber*innen mit den Werten der Einrichtung identifizieren. Besteht ein unmittelbarer Bezug zur Tätigkeit, darf nach der Religionszugehörigkeit gefragt werden.
- Sind Sie religiös?
- Gehören Sie einer Religionsgemeinschaft an?
Alter
Auch Fragen nach dem Lebensalter haben in den meisten Fällen wenig direkt mit der Eignung von Bewerber*innen zu tun und sind nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz unzulässig. Altersdiskriminierung gilt in beide Richtungen: sowohl wenn Bewerber*innen als „zu jung“ oder „zu alt“ abgestempelt werden. Fragen nach der beruflichen Erfahrung sind im Vorstellungsgespräch hingegen selbstverständlich erlaubt.
- Wie alt sind Sie?
- Haben Sie berufliche Erfahrung, auf die Sie für diese Stelle zurückgreifen können?
Weitere unzulässige Fragen im Vorstellungsgespräch
- Vermögensverhältnisse sowie bestehende Lohn- und Gehaltspfändungen
Die Frage nach dem Vermögen oder auch nach Schulden von Bewerber*innen ist grundsätzlich unzulässig. Eine Ausnahme besteht dann, wenn der vertrauensvolle Umgang mit Geld für die Tätigkeit besonders relevant ist, z. B. bei Bankkaufleuten. - Gewerkschafts- oder Parteizugehörigkeit
Die Zugehörigkeit zu einer Gewerkschaft oder Partei ist für die Ausübung der
meisten Tätigkeiten unerheblich und Fragen danach daher unzulässig – es sei denn, der Arbeitgeber ist eine der beiden genannten Institutionen. - Vorstrafen und Ermittlungsverfahren
Nach Vorstrafen oder laufenden Ermittlungsverfahren darf nur gefragt werden, wenn diese für den Tätigkeitsbereich der zu besetzenden Stelle relevant sind. Ein klassisches Beispiel: Verkehrsdelikte bei Berufskraftfahrer*innen.
Durch die Einbeziehung eines/einer betrieblichen Antidiskriminierungsbeauftragten in die Vorbereitung und Durchführung von Bewerbungsgesprächen können Diskriminierungsrisiken im Einstellungsprozess verringert werden.
Konsequenzen bei unzulässigen Fragen im Bewerbungsgespräch
Ob aus unwissentlicher oder vorsätzlicher Missachtung des Antidiskriminierungsgesetzes, unangebrachte Fragen in Bewerbungsgesprächen können für weit mehr als irritierte Bewerber*innen und eine unangenehme Stimmung sorgen. Denn das AGG räumt Bewerber*innen das Recht zur Beschwerde und einen Anspruch auf Schadensersatz ein.
Von Diskriminierung betroffene Bewerber*innen können vor Gericht Klage einreichen. Liegen Indizien für eine unzulässige Benachteiligung vor, liegt die Beweislast aufseiten des/der Arbeitgeber*in. Dies bedeutet, dass der/die Arbeitgeber*in nachweisen muss, dass die Ablehnung des/der Bewerber*in nicht aufgrund diskriminierender Kriterien getroffen wurde. Fällt das Urteil zugunsten der klagenden Person aus, wird der/die Arbeitgeber*in zur Zahlung einer Entschädigung von bis zu drei Monatsgehältern verpflichtet. Um an dieser Stelle kursierenden Gerüchten vorzubeugen: Einen Anspruch auf Beschäftigung haben abgelehnte Bewerber*innen nach § 15 AGG dadurch jedoch nicht.
Auch wenn unzulässige Fragen im Bewerbungsgespräch keine rechtlichen Konsequenzen haben: Personalverantwortliche, die Bewerber*innen in Vorstellungsgesprächen ungleich behandeln und direkt oder indirekt diskriminierende Fragen stellen, tun ihrem Unternehmen damit keinen Gefallen. Denn Bewerber*innen, die schon im Vorstellungsgespräch einen zweifelhaften Eindruck von dem/der Arbeitgeber*in gewinnen, werden sich mit hoher Wahrscheinlichkeit zugunsten einer anderen Stelle entscheiden und ihre negativen Erfahrungen vielleicht auch mit anderen teilen. Dies kann ganz unmittelbar zu Nachteilen bei der Rekrutierung führen und darüber hinaus auch den Ruf eines Unternehmens nachhaltig schädigen.
Fazit
In Einstellungsprozessen gilt es darauf zu achten, Bewerber*innen vorurteilsfrei zu begegnen und Ungleichbehandlungen zu vermeiden. Wer sich mit den Rahmenbedingungen des AGG vertraut macht, kennt eine wichtige und rechtlich verbindliche Grundlage, um Einstellungspraktiken diskriminierungsfrei zu gestalten.
Als grundsätzliche Faustregel gilt: In Bewerbungsgesprächen sollten nur solche Fragen gestellt werden, die sich auf wesentliche Anforderungen im Zusammenhang mit der Ausübung der Tätigkeit beziehen. Fragen nach der ethnischen Herkunft, der Religionszugehörigkeit, einer Behinderung oder anderen durch das AGG geschützten Merkmalen gehören zu den unzulässigen Fragen im Bewerbungsgespräch und sind nur in Ausnahmefällen erlaubt.
Empfehlenswert ist es in jedem Fall, Bewerbungsverfahren sorgfältig zu dokumentieren. Sollte es zu einem Fall kommen, in dem sich ein*e Bewerber*in benachteiligt fühlt, können Sie so Ihren Standpunkt angemessen darlegen.
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Kira ist Redakteurin bei VINYA. Mit einem Background in kommunikativer Beratung und Content Development dreht sich bei ihr vieles um die Übersetzung komplexer Sachverhalte in leicht verständliche Inhalte – und gute Geschichten. Als überzeugte niemals Auslernende ist sie auf der Suche nach neuen Vermittlungsmethoden, innovativen Lernformaten und nachhaltigen Lehrkonzepten.